
Himmelsbäume
Ein grauer Tag beginnt. Auch das Herz will sich an so einem Tag nicht warm anfühlen.
Unsere Reise startet am Ticketschalter in Dagebüll, mit den Familien. Ein erster Blick, ein erstes
Abschätzen. Unruhe, Unsicherheit, Freude auf das was kommt. Ein lautes Hallo und
Wiedersehensfreude der „Altpflanzer“, die ihre bereits gepflanzten Bäume besuchen.
Auf der Fähre gibt es reservierte Tische. Mit den Jacken, die abgelegt werden, werden
auch erste Hemmungen abgelegt – wir teilen alle das gleiche Schicksal. Wir haben ein
Kind verloren. Erste zaghafte Gespräche.
„Was sagst du, wenn dich jemand fragt, wie viele Kinder du hast?“ fragt eine junge Mutter
eine erfahrene Begleiterin des Projektes. „2“ ist die Antwort. „Unser Sohn Jelle ist jetzt 12
Jahre alt und sein Bruder wäre jetzt 9“.
Auf der Insel geht es vom Fähranleger langsam Richtung „Löwenhöhle“. Ein passender
Name, passt doch eine Mutter wie eine Löwin auf Ihre Kinder auf.
Jeder geht in seinem eigenen Tempo – so wie auch die Trauer ihr eigenes Tempo hat.
Jessyka gibt unterwegs Denkanstöße. So fragt sie am Leuchtturm „Wer oder was war
euer Leuchtturm in der Zeit nach der Trauer?“. Einige Eltern gucken aufs Wasser,
andere murmeln vor sich hin.: „Mein Mann, einfach weil er da war, mich gehalten hat.“
„Meine anderen Kinder, sie haben mich geerdet und mir gezeigt, dass es weitergehen muss“.
Das Wetter ändert sich langsam. Auf dem Wasser sieht man schon ab und an Lichtflecken.
So ist es auch in der Trauer, nach ganz viel grau und schwarz kommen erste Strahlen.
Die Andacht am Dalben, Pastor Menke greift das Thema, das uns den ganzen Tag begleitet, Steine,
auf. Er spricht von Kummersteinen, Trauersteinen, Stolpersteinen und das wir diese so gern
einfach wegwerfen möchten, wie Jessyka das an diesem Tag mit gesammelten Steinen macht.
Gemeinsame Lieder bringen die Stimme wieder. Haben wir vorher noch „Steine“ von Bosse
gelauscht, sind wir nun selbst dran. Leise aber alle zusammen.
Die Eltern sagen den Namen ihrer Kinder und eine Minute halten wir inne.
Dann pflanzen wir die Himmelsbäume und so mancher Stein versperrt den Weg. Und während wir
pflanzen, kommt die Sonne aus ihrem Versteck. Sie wärmt uns und wirkt der Kälte, die sich in uns
breit gemacht hat, entgegen.
„Das ist ein Zeichen“, „So haben es unsere Kinder gewollt“. Voller Tatendrang machen sich die
Eltern daran den beschrifteten Schmetterling in den Baum zu hängen und mit der Schaufel den
Baum einzugraben und vielleicht auch ein Stück der Trauer.
Wir geben allen Neupflanzern Minuten mit Ihren Bäumen. Sie sprechen mit den Kindern und
erzählen uns Begleitern von ihnen. Es tut gut auch die Geschichte hinter dem Namen zu kennen.
Und unsere Altpflanzer besuchen ihre Kirschen, Walnüsse, Flieder, sie zupfen Unkraut, richten alles
wieder schön her. Freuen sich wieder da zu sein und trauern natürlich auch weil das Kind nicht mehr
da ist.
Wir machen uns auf den Rückweg. Wer mag, darf noch zusammen Kaffee trinken. Ganz von allein
finden die Altpflanzer zusammen. Sie erzählen von Ihren Kindern, den Lebenden und Verstorbenen.
Lachen und nachdenkliche Themen finden bei allen Anklang. „Ich bin froh, dass wir uns begegnet
sind“ sagt eine Mutter und es werden Telefonnummern ausgetauscht. Sie möchten auch in die
Trauergruppe der älteren Eltern.
„An manchen Tagen habe ich das Gefühl, ich schaff das.“ sagt ein Vater, der seinen Sohn im Jahr
2020 verloren hat.
Erschöpft vom Tag fährt dann der Rest um 17:40 Uhr mit der Fähre zurück. Jeder sucht sich seinen Platz an Bord.
„Es war ein schöner wertvoller Tag mit lieben Menschen und vielen schönen Momenten“.
Am 1. April 2023 laden wir alle ehemaligen Pflanzer und Interessierte zu einem Besuch der Himmelsbäume ein. Einladung folgt.
Wir freuen uns auf den nächsten Pflanztermin im Herbst 2023. Die Zahl der Pflanzer ist begrenzt. Bei Interesse melden Sie sich bitte vorher bei uns: info@vesh.de
oder 04621 952 60 70.